Elsternest

Sylvia von Keyserling dichtet im Rosenstein

Sylvia von Keyserling Rosenstein
Steter Wandel

Die Lyrikerin Sylvia von Keyserling hat einen ungewöhnlichen Band mit Gedichten über den „Rosenstein“ vorgelegt. Dieser große Park im Stadtzentrum Stuttgarts ist Anfang des 19. Jahrhunderts gestaltet worden und hat im Laufe seiner Geschichte immer wieder Umwandlungen und Eingriffe erlebt. Seine Flora und Fauna haben Sylvia von Keyserling angeregt, über Natur nachzudenken. Die großen Parkbäume, teils mehr als hundert Jahre alt, rückt die Lyrikerin in ihrem Gedichtband in den Mittelpunkt. Sie beschreibt in lyrischer Sprache nicht nur die Stimmung im Wandel der Jahres- und Tageszeiten, sondern breitet auch eine neue, ungewöhnliche Sicht auf die Zellen der Bäume und die Kommunikation der pflanzlichen Welt aus.

Wir kennen die Bedeutung der Zellen, wissen um die Botenstoffe im menschlichen Körper, sind auf dem Weg, „innerkörperliche Kommunikationsphänomene“ zu verstehen. Die westliche Wissenschaft und Medizin hat sich deutlich später als die fernöstliche mit diesen Phänomen auseinander gesetzt. In diesem Band überträgt Sylvia von Keyserling diese Erkenntnisse auf die Bäume und lenkt den Blick auf die Kommunikation und den Austausch in der pflanzlichen Welt:

„Mit Sinnen so großzügig ausgestattet
allein das unterirdische Wurzelwerk
streckt seine Fühler aus um zu riechen
zu schmecken zu tasten im stetem Ge-
murmel von Wurzel zu Wurzel“

Sylvia von Keyserling lässt das romantische Naturgedicht hinter sich

Sie geht weit über das bekannte Naturgedicht der Romantik hinaus und der Leser folgt ihr neugierig-staunend auf ihrem lyrischen Weg durch den Rosensteinpark. Da werden nicht nur Rosen als farbenprächtige, duftende Gewächse beschrieben, ihnen wird ein „Duftalphabet“ zugesprochen, das sie ausschütten:

„zwischen sich in der Nacht und spielen
Scrabble | setzen Zeichen an Zeichen Ge-
rüche Enzyme auch Aufgelesenes ein
Oxymoron“

Im Gedicht „Lettern“ spricht sie vom „Schattenalphabet der Bäume“. All das fordert den Leser auf, mit anderen Augen, mit neuem Blick, durch diese wunderbare Naturlandschaft inmitten der Großstadt Stuttgart zu gehen und sich neu auf die Natur einzulassen, den Stimmungen der Jahreszeiten nachzuspüren und „das Gelände durchmessen wie das Schauen selbst“. Damit stellt sie sich explizit gegen eine durch naturwissenschaftliches Denken eingeengte Wahrnehmung.

Fotodokumentation

In der Gesamtkonzeption hat sich Sylvia von Keyserling nicht nur auf ihre kraftvollen Sprachbilder verlassen, sondern hat ihnen die großformatigen Fotografien von Wolfgang Rüter zur Seite gestellt, der mit seiner Kamera das Projekt Stuttgart 21 kritisch begleitet. Einige Bildseiten erinnern in ihrer Gestaltung an ein Do-it-yourself-Fotobuch, das kleinformatige Bilder in Kachelformat zu einem Ganzen formt. Damit unterstreicht Sylvia von Keyserling nicht ihre ungewöhnliche, lyrische Bildsprache sondern schwächt sie ab. Wolfgang Rüter hat seine Bilder des Rosensteinsparks auch in einem Kalender veröffentlicht, der zeitgleich im selben Verlag (Nikros) erscheint. Als Freund der Lyrik hätte ich mir statt der vielen bunten Fotografien weniger, aussagestärkere Schwarzweißbilder gewünscht, die, ähnlich wie die Lyrik, von der Reduktion und Verdichtung leben. Der Rezensent hätte sich auf dem Buchcover den Namen des Fotografen Wolfgang Rüter gewünscht. Immerhin hat er diesem Rosenstein-Band seinen Stempel aufgedrückt. Der Nikros Verlag erwähnt ihn auf der Rückseite des Buches.

Historie für Parkspaziergänger

Ein langer Aufsatz zur Historie des Rosensteinparks von Olaf Schulze und eine Rosensteinchronik der Autorin ergänzen den Band. Aber ist das wirklich eine „Ergänzung“? Der Leser bleibt letztendlich ratlos zurück, wenn er diese Hommage gelesen hat.

Der am Rosenstein interessierte Leser hätte sich mehr Informationen zur Entstehung dieses Parks gewünscht, gerne auch mit historischen Zeichnungen, die in dieser Konzeption das Buch noch weiter überfrachten. Der Rezensent hat als protestierender Bürger jahrelang gegen das Projekt S21 aufbegehrt und hätte sich kritischere Ausführungen zu den Herrschaftsverhältnissen in Württemberg gewünscht. Darüber ist im Aufsatz des Historikers leider nichts zu finden. Es hätten Linien gezogen werden können, von den monarchistisch-autoritären Herrschaftsformen bis hin zu den demokratischen, die den Souverän nicht zu Wort kommen lassen. Er hätte die immerwährende Umgestaltung und Veränderung dieses Parks als Metapher nehmen können, die Sylvia von Keyserling in ihrer Chronik dokumentiert. So ist der „Blick in die Geschichte“ von Olaf Schulze letztendlich eine gefällige Beschreibung für Parkspaziergänger.

Politische Statements in lyrischem Gewand

Sylvia von Keyserling hat in ihrem Epilog die aktuelle Naturzerstörung hineingenommen, findet aber nicht mehr die kraftvollen Sprachbilder, die sie in den reinen Naturgedichten verwendet hat. In diesem Epilog kritisiert sie:

„Einem derart rohen Eingriff ins Gartengeflecht
vom Aufmarsch von Gerätschaften und Männern den
Zangen des Holzbrechers“

und an anderer Stelle im Gedicht:

„Wie erleben denn Bäume Gewalt und Schmerz
empfinden sie wie der geschredderte Igel wie wir“

Sind diese Verse mit Baggerzangen, verstörten Eichhörnchen und gebrochenen Baumstämmen bebildert, weil sie ihren lyrischen Bildern nicht mehr traut?

Trotz dieser Kritik an der Gesamtkonzeption des neuen Lyrikbandes von Sylvia von Keyserling, ist es ein Buch, das neue Sichtweisen auf die Natur im Rosensteinpark eröffnet.

ROSENSTEIN
Hommage an ein Stuttgarter Kulturdenkmal

64 Seiten, gebunden
mit 45, größtenteils großformatiger Fotografien von Wolfgang Rüter
und einer allgemeinen Bauzeichnung von 1843 an drei Stellen
Nikros Verlag, Preis: 16,80 €
zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens

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