Elsternest

Nachdenkzeilen – Nizza: Amok oder Terror?

Die schnelle Einordnung der letzten Amokläufe spielt dem IS in die Hände und schürt Ängste in der Bevölkerung. Für eine „Informationsquarantäne“ spricht sich H. M. Heinrich in seinem Gastkommentar aus:

Ein Mann tötet und verletzt viele Duzend Menschen. Ein solch monströses Morden, mit dem ein armer kranker Irrer möglichst viele Menschen mit sich in den Tod reißen will, nannte man bis vor kurzem Amoklauf.

Nach Schulmassakern und ähnlichen entsetzlichen Bluttaten herrschen Entsetzen, Trauer, Mitleid, suchen die Menschen nach einer Erklärung für das Unbegreifliche und stellen die Frage: Warum? Diese Frage war in Nizza sogleich beantwortet: Da der Amokfahrer Tunesier war, ist die Tat ein islamistischer Anschlag.

Die Medien ordnen die Massenmörder ein

Ein norwegischer Massenmörder kann sich nicht auf eine Organisation berufen, die es ihm ermöglicht, seine Wahnsinnstat zu einer Heldentat von weltweiter Bedeutung zurecht zu phantasieren.

Der IS hat dazu aufgerufen, möglichst viele Ungläubige zu töten. Er führt einen asymmetrischen Krieg. Und die weitaus meisten seiner Opfer sind Syrer und Iraker.

Aber sind alle Massaker, die von Menschen aus islamischen Ländern, von Muslimen, begangen werden, wirklich islamistische Anschläge? Ist es nicht denkbar, dass der Mörder von Nizza unter anderen politischen Umständen genauso gehandelt hätte, nur ohne die ideologische Rechtfertigung vor sich selbst? Und der Attentäter von Orlando litt womöglich nicht an der westlichen unislamischen Kultur, sondern an seinen eigenen homosexuellen Neigungen, die er mit seinem Selbstbild nicht vereinbaren konnte.

Jeder, der einen ungeklärten Flugzeugabsturz oder ein Massaker an feiernden Zivilisten vorschnell als Terroranschlag bezeichnet, arbeitet dem IS in die Hände: Die ständige Angst vor Anschlägen führt zu Misstrauen und Hass zwischen uns und „denen“, zwischen Christen/Säkularen und Menschen aus islamischen Ländern, Muslimen.

Der IS nützt die Attentate für seine Propaganda

Der IS hat sich mittlerweile zu dem Anschlag bekannt. Es kostet ihn nichts. Ich will nicht, dass wir weiter das perfide Spiel des IS mitspielen. Es interessiert mich nicht, ob ein Mörder Tunesier ist, ob er Moslem ist, was seine Motive sind, ebenso wenig wie ihn seine Opfer interessiert haben. Ich will seinen Namen nicht hören und sein Bild nicht sehen. Ein Attentäter, der den eigenen Tod in Kauf nimmt und stirbt, darf nicht zum Helden oder Märtyrer werden. Er soll nicht durch seine Untat Bedeutung bekommen. Gott sei seiner armen Seele gnädig.

Wenn jedoch ein Mörder lebend gefangen und vor Gericht gestellt wird, ist es wichtig, seinen persönlicher Hintergrund und sein Motiv zu kennen, um ihn gerecht verurteilen zu können.

Je ausführlicher über solch eine Tat berichtet wird, umso grösser ist die Gefahr durch Nachahmer. Aktuelle Berichterstattung, die naturgemäß die Hintergründe noch nicht kennt, erzeugt gerade Terror und Angst. Eine verantwortungsbewusste Zurückhaltung der Medien, eine Art „Informationsquarantäne“ von mehreren Tagen, könnte im „Kampf gegen den Terror“ ebenso hilfreich sein wie eine Zurücknahme martialischer Kriegsrhetorik.

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