Elsternest

Michael Wildenhain in der Stadtbibliothek Stuttgart

Michael Wildenhain und Silke Arning
Michael Wildenhain und Silke Arning

 

Michael Wildenhain wird von der Kritik als versierter Roman-Konstrukteur bezeichnet, sagte Silke Arning bei der Lesung von ihm in der Stadtbibliothek Stuttgart am 17. Juni 2015. Sein Buch, „Das Lächeln der Alligatoren“, hatte es immerhin bis auf die Short-List zum Preis der Leipziger Buchmesse 2015 geschafft. Er unterlag dem Lyriker Jan Wagner und dessen Band „Regentonnenvariationen“.

Michael Wildenhain, 1958 geboren, veröffentlichte zahlreiche Romane, Kinder- und Jugendbücher, Gedicht- und Erzählbände sowie Theaterstücke. Zuletzt sind von ihm die Romane Russisch Brot (2005) und Träumer des Absoluten (2008) erschienen, zudem ein Auswahlband seiner Theaterstücke (2013). Er wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Alfred-Döblin-Preis, dem Ernst-Willner-Preis und dem Stipendium der Villa Massimo.

Michael Wildenhain benutzt unterschiedliche Sprachen in seinem Roman, abhängig davon, was von wem erzählt wird. Er entwickelt langsam, aber in intensiven Bildern das Verhältnis von Matthias zu seinem behinderten Bruder, der in einem Heim auf Sylt betreut wird. Er selber hatte als kleiner Junge seinen Bruder nächtens aus dem Bett gestoßen. Es ist nichts Böses dabei gewesen, es war nur eine kleine Rangelei, aber der Bruder erlitt ein Hirntrauma, das ihn zum geistig behinderten Autisten machte. Der Vater verließ daraufhin die Familie aus Kummer, die Mutter starb an Krebs.

Ein Besuch im Heim, Jahre später, nimmt eine unerwartete Wendung, als Matthias sich in Marta verliebt, die Betreuerin seines Bruders. Sie führt ihn in Studentenkreise ein, die einer radikalen Gruppierung angehören. Matthias lässt sich auf Marta und ihre Überzeugungen ein, ignoriert Vorzeichen und Zweifel. Was Martas Absichten sind, wird ihm erst allzu spät klar, sie arbeitet für die RAF.

Auf einer zweiten Ebene wird die Vergangenheit seines Onkels verhandelt, Er, der ihn an Vaterstatt aufgenommen hat, ist Neurologe und Psychologe, Spezialist vor allem für die Gehirne von Kindern und bewohnt eine luxuriöse Villa im Berliner Westend. Als er in den Papieren des Verstorbenen liest, muss er erkennen, dass dieser zu NS-Zeiten an Kinderhirnen forschte. Auch Matthias nimmt die Gehirnfunktionen in seinem Studium der Mathematik und Informatik in den Blick. Mit seinen Forschungen zur natürlichen Intelligenz will er die Folgen des Unfalls seines Bruders mindern. Da ist sein Onkel aber längst ins Visier der RAF gekommen, Martha erschießt seinen Onkel.

Michael Wildenhain erzählt in Zeitsprüngen

Diese Geschichte wir in vielen Rückblenden erzählt. Bis auf eine kurze Anfangspassage ist Matthias der Ich-Erzähler. Die Handlung wird in drei großen Zeitsprüngen erzählt: Sie ist im ersten Teil auf Sylt im Jahr 1972 angesiedelt. Dort trifft er im Heim erstmals auf Martha, die Pflegerin seines Bruders. Im zweiten Teil (West Berlin 1977) trifft er Martha wieder. Sie hat sich der RAF angeschlossen. Der dritte Teil ist in der Gegenwart angesiedelt, Handlungsorte sind Hamburg und Sylt.

Der Autor kennt sich aus mit den Motiven von Terror, Gewalt und deutscher Verstrickung. Michael Wildenhain hat den Linksextremismus in der Hausbesetzerszene Berlin-Kreuzbergs am eigenen Leib kennengelernt und hat ihn für seine Literatur genutzt (zum Beispiel k., 1983) Auch setzte er sich mit den einmal erlebten Denkmustern mehrfach in Romanen über die RAF auseinander.

Das Lächeln der Alligatoren
241 Seiten, gebunden
Verlag Klett-Cotta, Preis 19,95 €

zu erwerben in jeder Buchhandlung Ihres Vertrauens

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